„Ich glaube, dass Erziehung Liebe zum Ziel haben muss.“
Astrid Lindgren
© Astrid Lindgren Aktiebolag
Astrid Lindgren
Am 14.11.1907 wurde Astrid Anna Emilia Ericsson, spätere Lindgren, in der Nähe von Vimmerby in Småland geboren. Die von ihr geschriebenen 34 Bücher und 41 Bilderbücher wurden in über 100 Sprachen übersetzt und erfreuen Kinder auf der ganzen Welt. Bisher wurden über 165 Mio. Exemplare davon verkauft. Astrid Lindgren verstarb am 28.01.2002 in Stockholm.
„Beginnen wir mit dem Anfang – im November 1907, da kam ich auf die Welt, in einem alten roten Haus, umgeben von Apfelbäumen, als Kind Nummer zwei des Landwirts Samuel August Eriksson und seiner Frau Hanna, geborene Jonsson. Der Hof, auf dem ich geboren wurde, hieß – und heißt immer noch – Näs, und er lag ganz in der Nähe einer Kleinstadt in Småland, Vimmerby.“
Astrid Lindgren beschreibt ihre Kindheit so: „Wir hatten ein glückliches Bullerbü-Leben auf Näs, im Großenganzen gesehen wie die Kinder in den Bullerbü-Büchern“.
Allerdings musste die kleine Astrid auch bei der Landwirtschaft ihrer Eltern mitarbeiten, zusammen mit den Knechten, Mägden und Tagelöhnern. „Für mich als Kind war es schön und lehrreich, aufzuwachsen wie ich, mit Menschen unterschiedlicher Art oder unterschiedlichen Alters. Von ihnen lernte ich – ohne dass sie es wussten oder dass ich es wusste – etwas über Lebensbedingungen und wie schwierig es sein kann, ein Mensch zu sein.“
Der Anfang des 20. Jahrhunderts war eine Zeit vor den Landwirtschaftsmaschinen, dem Radio oder dem Fernsehen. Das Erzählen von Geschichten boten die erste Wahl der Unterhaltung. So wurden die Menschen, die die kleine Astrid traf und von denen sie durch die Geschichten hörte zu einigen der Charaktere in ihren zukünftigen Büchern.
© Qvisten Animation/Astrid Lindgren Film
„Und da saßen wir auf dem Fußboden, mein Bruder und ich, und hörten die wundersame Sage über den ‚Riesen Bam-Bam und die Fee Viribunda’ vorlesen. Ja, dass man nicht auf der Stelle gestorben ist! In dem Augenblick wurde der Lesehunger in mir geboren, und mit der ganzen Ungeduld einer Vierjährigen starrte ich auf diese komischen schwarzen Schnörkel, die Edit deuten konnte, ich aber nicht, und die durch eine merkwürdige Magie plötzlich die ganze Küche mit Feen, Riesen und Hexen bevölkern konnten.“
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Astrid Lindgren und ihre Geschwister waren außerdem wahre Leseratten. Sie beschreibt das Lesen so: „Das war etwas, das alle Sinne fesselte, Sehen, Düfte und Gefühl, intensiver als irgendein anderer Eindruck im Kinderleben.“
Als die kleine Astrid heranwuchs änderte sich ihre Sicht auf das Leben. „Das Teenageralter war ein Stillstand, tonlos und leblos, ich war oft melancholisch. Und ich fand mich, wie so viele, so hässlich, und ich war auch nie verliebt. Alle anderen waren ständig verliebt …“
Am Härtesten traf sie die Tatsache, dass sie nicht mehr spielen konnte:„Ich erinnere mich noch ganz genau. Wir haben immer mit der Enkeltochter des Priesters gespielt, wenn sie in den Ferien nach Näs kam. Aber eines Sommertages, als sie kam und wir wie üblich anfangen sollten zu spielen, fiel uns plötzlich auf, dass wir nicht mehr spielen konnten. Es ging einfach nicht. Es fühlte sich albern und traurig an. Was sollten wir denn bloß machen, wenn wir nicht spielen konnten?“
Sie ersetzte das Spielen dann durch Theaterbesuche, Filme und Tanzabende. Als erste Frau in ihrem Örtchen trug sie die Haare in einem flotten Kurzhaarschnitt. Dies sorgte für große Aufregung und auch ihre Eltern waren alles andere als begeistert. „Als ich nach Hause kam und mich auf einen Stuhl in der Küche gesetzt haben, wurde es vollkommen still. Niemand sagte ein Wort, sie liefen nur in aller Stille um mich herum.“
© Hilding Engströmer, Gustavsbergssamlingen/Nationalmuseum
Nach ihrem Schulabschluss arbeitete Astrid Lindgren mit 16 bei der Zeitung Vimmerby Tidning. Der Chefredakteur der Zeitung, Reinhold Blomberg, war Vater von 7 Kindern und als Astrid 19 war, wurde sie von ihm schwanger. „Noch nie gab es so viel Klatsch und Tratsch über so etwas Unbedeutendes, zumindest nicht in Vimmerby. Gegenstand dieses Tratsches zu sein, fühlte sich ungefähr so an, wie in einer Schlangenhöhle zu liegen, und ich fasste den Entschluss, diese Schlangenhöhle so schnell wie möglich zu verlassen.“
Astrid Lindgren verließ Vimmerby und zog nach Stockholm.
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In Stockholm war das Leben einsam und Astrid hatte nicht viel Geld. Sie wohnte zur Untermiete in einem Zimmer. Am Bar-Lock-Institutet machte sie eine Ausbildung zur Sekretärin. Sie hielt weiterhin Kontakt zu dem Vater ihres ungeborenen Kindes und sie planten zu heiraten, sobald Reinhold geschieden war.
Am 21.11.1926 wurde Astrid Lindgrens Sohn Lars (Lasse) in Kopenhagen geboren. Dort war das einzige Krankenhaus, das nicht den Namen des Vaters für die Geburt benötigte. Astrid und ihr Sohn wohnten bei Familie Stevens und ließ Lasse die ersten 3 Jahre seines Lebens bei ihnen. Sie besuchte ihn so oft wie möglich.
Nach drei Jahren holte Astrid Lindgren ihren Sohn nach Schweden zurück. Marie Stevens, seine Ziehmutter konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht länger für ihn sorgen. Für ihn war Dänemark seine Heimat und die Stevens seine Familie. Als er verstand, dass er nicht mehr bei ihnen leben würde, überkam ihn tiefe Verzweiflung: „da legte er sich vornüber gebeugt auf einen Stuhl und weinte leise. Ganz leise, als ob er einsah, dass es doch keinen Sinn hatte, die machen mit mir sowieso, was sie wollen! Dieses Weinen weint immer noch in mir und das wird es wohl bis ans Ende meiner Tage tun. Vielleicht war es um dieses Weinen willens, dass ich in allen Zusammenhängen immer so stark die Partei der Kinder ergriffen habe …“
Er wohnte ein paar Monate mit in Astrids Zimmer in Stockholm. Anschließend bleib er aus gesundheitlichen Gründen ein Jahr bei ihren Eltern auf dem heimatlichen Hof. Als er fünf Jahre alt war, heiratete seine Mutter Sture Lindgren und holte Lasse zu sich und gab ihm auch den Nachnamen Lindgren.
Lars Lindgren starb am 22.07.1986.
© Louise Hartung/Astrid Lindgren Aktiebolag
Im Frühling 1931 heiratete Astrid Ericsson ihren Chef Sture Lindgren. Sie arbeitete inzwischen beim Kungliga Automobil Klubben (K.A.K). Zusammen mit Lasse zogen sie in eine kleine Wohnung in Stockholm. Astrid kündigte, um bei Lasse zu Hause bleiben zu können. Im Mai 1934 wurden Astrid und Sture Eltern einer kleinen Tochter mit dem Namen Karin.
Astrid kümmerte sich liebevoll um ihre Kinder. Lasse erzählte später:„Sie war nicht so eine Mutter, die still im Park auf einer Bank saß und den Kindern beim Spielen zusah. Sie wollte selbst spielen und ich glaube, dass es ihr mindestens genauso viel Spaß gemacht hat, wie mir!“. Im Park beobachtet Astrid immer wieder, dass die Erwachsenen die Kinder schikanierten und unterdrückten.
© Jacob Forsell
1937 begann Astrid Lindgren zeitweise wieder als Sekretärin zu arbeiten. Ihr Chef war Dozent der Kriminologie der Stockholmer Hochschule Harry Södermann. Außerdem gehörte ihm ein erfolgreiches Detektivbüro. Hiermit wurde er auch international bekann und unterrichtete bei Scotland Yard und dem NYPD Kriminaltechnik. Er und das Wissen, das Astrid in dieser Zeit erwarb, fanden sich später in „Kalle Blomquist“ wieder.
Zwischen 1939 und 1945 schreibt Astrid Lindgren 17 Tagebücher, in denen sie den sie den 2. Weltkrieg dokumentiert. Das erste Buch fängt so an: „Oh! Heute hat der Krieg begonnen. Niemand wollte es glauben. Gestern Nachmittag saßen Elsa Gullander und ich im Vasapark, die Kinder liefen und spielten um uns herum, und wir schimpften ganz gemütlich auf Hitler und waren uns einig, dass es wohl keinen Krieg geben würde!“
Im Sommer 1949 kam Astrid über Harry Söderman zu einem hochgeheimen Job in der Abteilung Briefzensur des Nachrichtendienstes. Sie las heimlich Briefe und Militärpost. So erhielt sie einen tiefen Eindruck von der Grausamkeit des Krieges.
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Als Karin 1941 krank wurde, bat sie ihre Mutter, ihr eine Geschichte über „Pippi Langstrumpf“ zu erzählen. Diesen Namen hatte sie sich spontan ausgedacht und begründete damit eine später weltbekannte Kinderbuchfigur. „Weil es ein merkwürdiger Name war, wurde es auch ein merkwürdiges Mädchen“, sagte Astrid Lindgren. Jahrelang erzählte Astrid Karin und ihren Freundinnen und Freunden immer neue Geschichten von Pippi.
Sie fing an, die Geschichten aufzuschreiben. Als sie es bei einem Verlag einreichte, wurde es jedoch abgelehnt. Nachdem Astrid Lindgren mit „Britt-Mari erleichtert ihr Herz“ den 2. Platz eines Wettbewerbes gewann und im November 1944 als ihr erstes Buch veröffentlicht worden war, las ihre Verlagsredakteurin auch das Manuskript von Pippi Langstrumpf. Sie war begeistert. Nachdem Astrid ihre Anregungen in das Manuskript aufgenommen hatte, gewann sie mit ihm den ersten Preis eines neuen Wettbewerbes und veröffentlichte das Buch „Pippi Langstrumpf“ ein Jahr später.
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Dieses Buch brachte eine grundlegende Wende in Astrids Leben. Es wurde ein grandioser Erfolg und Astrid schrieb zwischen 1944 und 1946 sechs Kinder- und Jugendbücher, die auch alle veröffentlicht wurden
Die 50er und 60er Jahre brachten Astrid Lindgren sehr viel Erfolg, aber auch sehr viel Arbeit. Sie schrieb jährlich mindestens ein Buch, reiste quer durch die Welt, um ihre Bücher vorzustellen, machte Lesungen aus ihren Büchern im schwedischen Radio, schrieb Freunden und Lesern Briefe, arbeitete bei dem Radioprogramm „Zwanzig Fragen“ mit und war beim Verlag Rabén & Sjögren für deren erfolgreiche Kinderbuchabteilung verantwortlich.
Sie entwickelte ihren eigenen Stil und ihre eigenen Werte für ihre Bücher. So war ihr die Einleitung in ihren Büchern extrem wichtig. Sie sollte die Kinder fesseln und nicht überfordern. Die Sprache ihrer Bücher sollte kindgerecht sein und die Bücher einfach gut sein.
Ihr, in dieser Zeit unüblicher, Standpunkt war, dass Kinderbücher dieselbe Qualität wie Erwachsenenbücher haben sollte. Auch sollten Kinderbücher den gleichen Stellenwert und die gleiche Förderung bekommen wie Bücher für Erwachsene. Daher forderte sie, als ihr Verlag ein Stipendium für einen Schriftsteller von Erwachsenenliteratur vergab, dass es auch ein Kinderbuchstipendium geben müsse. Dies wurde dann angelegt. Zu ihrem 60. Geburtstag 1967 wurde der „Astrid Lindgren-Preis“ gestiftet. Seitdem wird er jährlich vergeben.
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1970 verließ Astrid Lindgren den Verlag und ging in Rente. Die ersten beiden Jahre genoss sie den Ruhestand und veröffentlichte keine neuen Bücher. 1973 erschien dann die „Brüder Löwenherz“.
1976 erschien eins der politischsten Bücher von Astrid Lindgren: Madita und Pims. Das bürgerliche Mädchen Madita mit einem unbestechlichen Gereichtigkeitssinn erlebte die Ungerechtigkeit der Gesellschaft und erzählte die Geschichte durch ihre Augen.
„Die Hilflosigkeit der Armut, was ist das?, fragt sie Papa. Und er erklärt ihr, wenn man richtig arm ist, dann ist es genauso, als wäre man an Händen und Füßen gefesselt, man kann nichts tun. Man ist ganz hilflos, wenn etwas passiert, Krankheit oder etwas anderes, was schwer ist in diesem Leben.“
Astrid Lindgren war auch politisch aktiv. In den 30er Jahren war sie als Sozialdemokratin aktiv. Ende der 70er wurde sie jedoch auf Grund der Steuerpolitik und dem diktatorischen Auftreten der sozialdemokratischen Regierungspartei eine große Gegnerin der Regierung. Ihre Artikel gegen die Regierungspartei trug wohl wesentlich zur Wahlniederlage der sozialdemokratischen Regierung nach 40 Jahren des Regierens bei den Wahlen 1976 bei.
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„Es gibt Dinge, die man tun muss, selbst wenn sie unbequem und gefährlich sind und man sie am liebsten gar nicht machen möchte. Weil man sonst kein Mensch ist, sondern nur ein Häuflein Dreck“
Astrid Lindgren
Vom ersten ihrer Bücher an kämpfte Astrid Lindgren für das Recht aller Kinder auf Geborgenheit und Liebe. 1978 bekam sie den Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. Ihre Dankesrede wurde zu einer strikten Aufforderung: NIEMALS GEWALT! Die Rede sollte verboten werden, aber mit der Drohung, dann den Preis abzulehnen, setzte sich Astrid Lindgren durch und hielt ihre Rede.
„Wir alle wollen ja den Frieden. Gibt es denn da keine Möglichkeit, uns zu ändern, ehe es zu spät ist? Könnten wir nicht vielleicht lernen, auf Gewalt zu verzichten? Könnten wir nicht versuchen, eine ganz neue Art Mensch zu werden? Wie aber sollte das geschehen und wo sollte man anfangen? Ich glaube, wir müssen von Grund auf beginnen. Bei den Kindern.“
Im nächsten Jahr wurde ein Gesetz erlassen, das die körperliche Züchtigung von Kindern in Schweden verbot.
Die 80er begannen für Astrid Lindgren mit einer neuen politischen Streitfrage: der Fürsorge um die Natur. In Schweden gab es eine Volksabstimmung über Kernkraft und Astrid war eine strikte Gegnerin der Kernkraft. Während dieser Zeit schrieb sie ihren letzten großen Roman: Ronja Räubertochter. Das Buch erschien 1981 und beinhaltete ihr letztes großes Engagement: das Wohlergehen der Haustiere und die offenen Landschaften in Schweden. In ihrer Kindheit war Astrid Lindgren der Natur sehr verbunden und Ronja Räubertochter lässt dies erahnen.
Astrid schrieb viele Artikel, in denen sie deutlich machte, wie schlecht es die Haustiere in Schweden zu dieser Zeit hatten.
Der damalige Ministerpräsident schenkte Astrid Lindgren zu ihrem 80sten Geburtstag das LEX LINDGREN, ein neues Tierschutzgesetz. Dies ging ihr aber längst nicht weit genug und sie bezeichnete es als „sinnlos“.
Astrid Lindgren unterstützte die Menschen und Organisationen sowohl öffentlich, als auch im Stillen.
„Fragt mich aber jemand nach meinen Kindheitserinnerungen, dann gilt mein erster Gedanke trotz allem nicht den Menschen, sondern der Natur. Sie umschloss all meine Tage und erfüllte sie so intensiv, dass man es als Erwachsener gar nicht mehr fassen kann. Der Steinhaufen, wo die Walderdbeeren wuchsen, die Leberblümchenstellen, die Schlüsselblumenwiesen, die Blaubeerplätze, der Wald mit den rosa Erdglöckchen im Moos, das Gehölz rings um Näs, wo wir jeden Pfad und jeden Stein kannten, der Fluss mit den Seerosen, die Gräben, die Bäche und Bäume, an all das erinnere ich mich besser als an die Menschen.”
© The Astrid Lindgren Company/Ingrid Vang Nyman
1995 wurde mit dem Bau des Astrid Lindgren Kinderkrankenhaus des Karolinska Krankenhauses begonnen. Astrid Lindgren war es sehr wichtig, dass in diesem Krankenhaus die Kinder, ihr Wohlbefinden und der Respekt für sie in allen Bereichen im Vordergrund stehen.
© Astrid Lindgren Text/Stina Wirsén
Am 28.01.2002 starb Astrid Lindgren in Stockholm. Ihre Tochter Karin und die nächste Familie waren bei ihr. Die Stockholmer trauerten auf den Straßen um ihre große Schriftstellerin. Ihr Begräbnis ähnelte einem Staatsbegräbnis. Am 8. März, dem internationalen Frauentag wurde ihr Sarg in einer Kutsche, an hunderttausenden Schweden vorbei durch die Stockholmer Straßen gefahren. Am Ende des Trauerzuges lief ein weißer ungesattelter Hengst.
„Ich habe nichts dagegen zu sterben. Aber nicht morgen. Ich habe erst noch einiges zu erledigen.”
© Jacob Forsell